Start unserer Weltreise: Gedanken und Ängste

The Final Countdown… Endlich ist es so weit! Wir fliegen heute mit unseren Oneway-Tickets nach Südafrika und werden unseren langersehnten Traum von einer Weltreise erfüllen. Und nicht nur das! Ab heute werden wir als digitale Nomaden arbeiten und gleichzeitig die schönsten Orte weltweit bereisen. Unser eigener Chef sein und unsere ganze Energie in die Erfüllung unserer eigenen Träume und Wünsche stecken.

Aber bevor es richtig los geht und wir uns in diesen neuen Lebensabschnitt hineinstürzen, wollen wir kurz innehalten und euch an unseren Gedanken vor dem Start der Weltreise teilhaben lassen.

Ganz gleich, wem wir in den vergangenen Wochen und Monaten von unseren Plänen erzählt haben, wir bekamen immer eine ähnliche Reaktion. Alle haben uns gratuliert und uns zu unserem Mut beglückwünscht, diesen Lebenstraum zu erfüllen. Ob die engsten Freunde, die Kollegen auf der Arbeit oder die Hausärztin, die uns laufend zum Impfen gesehen hat. Viele haben uns gefragt, wie wir es schaffen würden so lange zu reisen oder was uns dazu bringt alles zurückzulassen. Aus solchen Fragen haben wir die Angst rausgelesen, die so viele Menschen davon abhält, ihren Traum zu verfolgen.

Ständig haben wir Sätze gehört wie „Das wollte ich auch immer mal machen“ und „Ihr macht es genau richtig, ich bin jetzt zu alt dazu“ oder Ähnliche. Wir stellten uns daraufhin die Frage, woher wir genau die richtige Portion Mut genommen haben, die man braucht, um diesen Schritt zu gehen. Warum ausgerechnet wir zu einer Open-End Weltreise aufbrechen, wenn es doch der Traum von so vielen Menschen ist.

Und nein, wir sind nicht außergewöhnlich mutig. Wir haben zwischendurch auch immer wieder nachgedacht, ob wir tatsächlich unsere unbefristeten Arbeitsverträge kündigen sollen. Ob wir es wirklich schaffen das erforderliche Geld anzusparen oder uns selbstständig zu machen. Viel zu oft haben wir uns gefragt: „Bin ich bekloppt, meinen sicheren Job zu schmeißen oder bin ich genau verrückt genug, um an diesen großen Traum zu glauben?“.

„Wenn deine Träume dich nicht ängstigen, träumst du nicht groß genug.“

Ellen Sirleaf

Start unserer Weltreise

Du wirst niemals furchtlos sein: dann mach es halt ängstlich.

Wenn du unseren Weg bis hin zur Weltreise verfolgt hast, dann weißt du bestimmt schon, dass Sue mit psychischen Erkrankungen (u. a. auch mit starken Ängsten und Angstattacken) zu kämpfen hat. Also nein, wir sind nicht mutiger als andere. Es ist aber so, dass wir beschlossen haben nicht länger zu warten, bis die Angst verschwindet. Sondern diesen Schritt Hand in Hand zu gehen: auch ängstlich und mit Sorgen. Aber vor allem mit einer enormen Neugier und einer unstillbaren Leidenschaft die Welt zu entdecken.

„The brave man is not he who does not feel afraid, but he who conquers that fear.“
Nelson Mandela

Ja, wir sind also schon mutig, auf Weltreise aufzubrechen. Aber auch nicht mutiger als andere und garantiert nicht furchtlos. Wir hatten sehr viele Ängste und Zweifel zu Beginn, ob wir das Richtige tun. Bei unseren Sorgen ging es konkret darum, unsere Sicherheiten gezielt aufzugeben. Gerade für Sue, die auf dem Autismusspektrum ist, war die Aufgabe ihrer Routinen eine große Herausforderung. Wir hatten das Gefühl, unser Sicherheitsnetz zu verlassen.

Aber egal auf welche Reise wir bisher aufgebrochen sind: wir haben es niemals bereut oder auch nur einem Cent hinterhergeweint. Durch jedes Abenteuer haben wir so viel gelernt und uns so sehr weiterentwickelt.

Und eine Angst war immer größer als alle anderen: Es nicht zu tun und es später im Leben irgendwann bitter zu bereuen.

„Mit einer solchen Erkrankung sollten Sie nicht auf Weltreise gehen!“

Das letzte Jahr vor unserer Weltreise war extrem fordernd und hat uns in vielen Bereichen unglaublich viel Kraft abverlangt. Sues psychische Erkrankung wurde u. a. durch die Pandemie so drastisch verschlimmert, dass sie wegen lebensmüden Gedanken für 3 Monate in einer psychiatrischen Klinik war. Aber anstatt den Kopf in den Sand zu stecken, hat sie sich Stück für Stück ein liebevolles Miteinander mit ihrer Krankheit erkämpf. 

Ihr wurde gesagt, dass sie durch die Bipolare Störung chronisch krank ist und nie wieder gesund sein wird. Daraufhin hat sie mit ihrer positiven Art gesagt: „Dann muss ich also nicht mehr warten, bis es besser wird. Und lebe einfach jetzt.“ 

Ich erinnere mich noch so gut an ein Gespräch, das wir kurz nach der Diagnose bei einem meiner Besuche geführt haben. (Zum Kontext: sie hat ihre psychischen Erkrankungen vor langer Zeit „Krake“ getauft.) Beim Waldspaziergang blieb sie plötzlich stehen und meinte: „Weißt du was, dann nehmen wir meine Krake eben mit auf Weltreise. Denkst du, das würde ihr gefallen? Ihre Tentakel im Sand auszustrecken oder mit auf Safari zu kommen?“

Für ihren behandelnden Oberarzt war diese Reaktion absolut unverständlich. Mehr als einmal meinte er, dass eine solch große Lebensveränderung in ihrer Situation verantwortungslos wäre. Aber Sue blieb standhaft. Denn in ihren Augen war es unverantwortlich nun alle Träume und Ziele über Bord zu werfen. Denn, wie sagte sie es einmal so schön? „Wenn die Krankheit tut, was sie möchte, dann werde ich ab jetzt auch tun, was ich wirklich möchte!“

Gemeinsam haben wir nach ihrer Entlassung ein Datum für die Weltreise festgelegt und sind einfach gesprungen. Und nachdem wir diese Entscheidung getroffen haben, war auf einmal alles ganz leicht.

Unsere Weltreise startet heute

Die Sache mit der Endlichkeit: dein Lebenstraum wartet nicht!

Und es gibt noch einen großen Punkt, über den wir eigentlich nicht so oft nachdenken wollten. Wir werden alle irgendwann sterben. Und es kann jederzeit vorbei sein.

Puh, gar kein gutes Thema, oder? Wer denkt schon gerne darüber nach, dass sein eigenes Leben endlich und die Zeit hier auf der Welt begrenzt ist? Ganz ehrlich: diesen „Carpe Diem“-Nonsens fanden wir früher echt übertrieben. Denn du kannst nicht jeden Tag so leben wie deinen letzten. An deinem allerletzten Tag wirst du nicht mehr deine Zukunft planen, auf deine Gesundheit achten oder auf deine Ziele hinarbeiten. Also haut das doch nicht so einfach hin, wie es vielleicht klingt.

Sues Mama klagte 2016 über starke Rückenschmerzen und wurde zur Untersuchung ins Krankenhaus gebracht. Als von jetzt auf gleich die Diagnose „Lungenkrebs im Endstadium“ feststand, war das ein großer Schock für alle. Leider verstarb sie nach 4-monatigem Kampf gegen die Krankheit. Das hat uns beide in vielerlei Hinsicht stark geprägt. Denn obwohl Renate (Sues Mama) sagte, dass sie nichts im Leben bereut, konnte sie zugleich mehrere Träume nicht mehr erfüllen. Zum Beispiel in Sankt Petersburg vor der Bluterlöserkirche stehen. Oder die Kirschblüten in Japan erleben.

Warum verschieben wir Lebensträume so gerne auf „später“?

Lebensträume lassen sich irgendwie so einfach verschieben und man findet schnell den richtigen Grund. Du hast nicht das notwendige Geld oder die Zeit. Keiner möchte mit dir reisen und du traust dich nicht allein loszuziehen. Und dann der lange Flug. Dein Englisch ist nicht gut genug, wie sollst du dich da verständigen? Mit Kindern geht sowas nicht mehr. Jetzt bin ich zu alt, das hätte ich früher machen sollen.

Wir haben für uns gefolgert, dass wir unsere Zeit auf dieser Welt damit verbringen möchten, unser wahres und authentisches Selbst zu sein und unseren innersten Wünschen zu folgen. Wir haben erkannt, wie kostbar jeder Moment tatsächlich ist. Wir können nicht wissen, wann etwas geschieht, das unsere Welt komplett verändert. (Und mit einer Erkrankung wie der von Sue gibt es keine Garantie, dass es sich nicht plötzlich verschlimmert!)

Darum hängen wir nicht mehr der viel zu einfachen und verlockenden Illusion nach, dass wir unsere Träume ja auch irgendwann später erfüllen können. Und aus dieser Erkenntnis schöpfen wir unsere Kraft und unseren Mut. Wir wissen, dass wir es jetzt machen müssen. Und weil wir uns unbedingt diesen Lebenstraum erfüllen wollen, sind wir ganz bewusst diesen Weg gegangen. Zwar einerseits mit Ängsten und Zweifeln beladen, aber andererseits auch in dem Wissen, dass es genau das ist, was wir immer schon tun wollten.

Gedanken über unsere Weltreise
Ängste vor unserer Welreise

Schritt für Schritt Richtung Weltreise & heute

Was ist seit der Entscheidung passiert? Wir haben über die Jahre eisern gespart und alles verkauft, was wir konnten. Anfang 2022 gründeten wir unsere Marketing- & Vertriebsberatung und machten uns zunächst neben dem Hauptberuf selbstständig. Im Juni 2022 kündigten wir (und da ging uns richtig der Arsch auf Grundeis!) unsere sicheren Jobs.

Wir haben jetzt im Herbst unser Zuhause aufgegeben und uns von unseren Lieblingsmenschen für lange Zeit verabschiedet. (Ihr wisst genau, wer ihr seid. Wir werden euch unglaublich vermissen!)

Und schlussendlich steigen wir heute in diesen Flieger, um endlich auf Weltreise aufzubrechen.

Bei all dem haben wir immer mit einem lachenden Auge nach vorne und einem weinenden Auge zurückgeblickt. In dem Wissen, was wir aufgegeben haben und zurücklassen mussten. Aber gleichzeitig mit der unumstößlichen Sicherheit das Richtige zu tun. Denn während jedem Schritt sagte unser Bauchgefühl „JA!“.

Heute am 05.10.2022: an unserem vierten Hochzeitstag fliegen wir von Frankfurt am Main nach Istanbul und von dort mitten in der Nacht weiter nach Kapstadt. Fast genau ein Jahr nach Sues Einlieferung in die Klinik, als sie wegen starken Depressionen nicht mehr daran geglaubt hat, diesen Tag noch zu erleben.

Wir können dankbarer und glücklicher nicht sein. Und zeitgleich fällt es uns schwer zu realisieren, dass wir ab jetzt mittendrin in unserem Lebenstraum sind. Und wir freuen uns auf jeden einzelnen Tag. Seid ihr virtuell dabei? 🙂 

Say yes to new adventures!

Euer Axel (& Sue)